15
Feb

YouNow.com – ein Einfallstor für Fremde?

Written by Bernd Fuhlert. Posted in Datenschutz, Privatsphäre, Sonstige Fragen, Verbraucherschutz

Ein Blick ins Kinderzimmer, der sollte Eltern, Freunden und Spielkameraden vorbehalten bleiben. Und die meisten Heranwachsenden sind durchaus scheu, wenn es um ihre Privatsphäre geht und lassen Mutter und Vater bisweilen und unwillig in ihren ganz privaten Lebensraum. Rasch wird dies, oft in vorausschauender Erwartung einer elterlichen Bemerkung oder gar Ermahnung als Eindringen verwehrt.

Umso verwunderlicher, dass die Streaming-Plattform YouNow.com mit großem Erfolg gerade dort ihr größtes Potential findet: Im Lebensraum der Kids und Teenager. Jeder kann auf YouNow einen Kanal öffnen und mit Notebook-Kamera oder Webcam, Tablet oder Smartphone anderen Einblick geben. Und das ganz ohne Alters-Check, denn zur Anmeldung genügt ein Facebook, Twitter oder Google+-Account. Zusehen kann man sogar ganz anonym, was den Verdacht bestärkt, dass im Publikum Platz für Päderasten ist.

Hierbei geht es weniger darum, zu zeigen wie man aktuell eingerichtet ist und welche Poster an der Wand hängen, als um persönliche Geständnisse. Das ist im Prinzip erst einmal nicht verwunderlich, denn Menschen in Umbruchphasen – und zu denen gehört die Pubertät ganz ohne Zweifel – haben bisweilen ein gesteigertes Mitteilungsbedürfnis: Die Resonanz der Außenwelt wird zum (trügerischen) Spiegel des Innenlebens und Selbsterfahrung baut auf das (hier nicht fundierte) Feedback der anderen.

Was YouNow so attraktiv macht, ist die Tatsache, dass ein Handy oder eine Webcam genügt, um auf Sendung zu gehen. Im Prinzip kann jeder sein eigenes Talkradio aufmachen und braucht hierfür weder technisches Fachwissen noch irgendwelche Nachweise. Dies wäre nichts als ein nettes Spiel, wenn es von Volljährigen gespielt würde, die sich aller verbundenen Gefahren bewusst sind. Und diese dürfen auch wenn nicht von Straftaten die Rede ist, nicht unterschätzt werden. Denn schließlich kann auch das hemmungslose Freigeben von intimen Informationen dazu gehören.
Nun erschöpft sich ein Großteil der Kommunikation darin, dass die Zuschauer im Chatfenster schriftliche Stellen, die von der Protagonistin oder dem Protagnisten vorgelesen auch mit einer Antwort versehen werden. Hierbei handelt es sich oft um einen Zyklus in Schleife, wobei die beständig wiederholte Frage nach dem Alter gerade bei Minderjährigen den Verdacht aufkommen lassen, dass tatsächlich Männer vor dem Bildschirm sitzen, die sich schon an der Tatsache ergötzen, dass die Kinder vor der Kamera weit vor der Volljährigkeit sind. Daher drehen sich viele Fragen auch um das Thema, ob die Darstellerin oder der Darsteller schon die für YouNow erforderlichen aber ungeprüften 13 Jahre erreicht hat.

Dass in der Konfrontation von naiven Kindern mit überlegenen Erwachsenen ein immenses Gefahrenpotential liegt, wird keiner bezweifeln. Ein großer Gefährdungsmoment liegt also schon einmal darin, dass nicht nur nach unten, sondern auch nach oben Altersfreiheit besteht, Altersgruppen wild gemischt sind und sich überhaupt nicht zu erkennen geben. Das ist für diejenigen, die sich im Kanal darstellen eine unüberschaubare Gefahr, zumal aus der ständigen Wiederholung der vorgetragenen Fragen und Antworten eine Art Trance entstehen kann. Die Aufmerksamkeit der Sender lässt nach, während die Empfänger sich abwechseln und es ist leicht vorstellbar, dass mit der Zeit auch Dinge erzählt und Zusammenhänge hergestellt werden, die nicht für eine anonyme Öffentlichkeit bestimmt sind.

Gerade wenn Problembereiche angesprochen oder Geständnisse gemacht werden, ist die Problematik der einseitigen Anonymität besonders groß. Denn während der Zuschauer im Dunkeln bleibt, muss sich der Ansager ja zeigen, kann somit erkannt und auch wiedererkannt werden. Somit könnten Klassenkameraden, Freundinnen und Freunde, aber auch Konkurrentinnen und Konkurrenten an Informationen kommen, die der Jugendliche, das Kind vor der Kamera nie für sie bestimmt hatte, nie bedachte, dass die davon Kenntnis erlangen. Da zudem offen Facebook, Instagram und andere Accounts kommuniziert werden, sind weitgehende Rückschlüsse in der Regel problemlos möglich: Die Darstellerin oder der Darsteller verstricken sich trotz Nick Name im Netz der eigenen Informationen. Dies kann zu fatalen Attacken führen, die beim Cybermobbing beginnen und nach der Entschleierung der Identität auf dem Schulhof oder im Betrieb in schierer Hilflosigkeit und Verzweiflung enden können.
Es ist also gar nicht nötig, darauf zu warten, dass Minderjährige von Volljährigen in sexuelle Situationen gedrängt werden (was den Tatbestand des Cybergrooming erfüllt), um sich vor Augen zu führen, was mit Kindern und Jugendlichen vor der privaten Kamera, in der Öffentlichkeit des Internets und in der Wirklichkeit des täglichen Lebens passieren kann. Tatsächlich ist aber auch ohne diese Eskalation die Problematik schon hoch genug: Dadurch, dass auf Sendung gegangen wird, dringen Menschen in die privatesten Lebensbereiche ein, denn schließlich sind Arbeits- und Schlafbereich für die meisten jungen Menschen identisch.

Wie – fragt man sich – lassen sich die fremden Stimmen später aus dem Schlafzimmer verdrängen, wie wieder die Sicherheit der eigenen vier Wände herstellen, wenn man sich hier einmal von aller Welt beobachten ließ. Vor allem aber müssen wir uns fragen: Wem kann unser Kind dann davon erzählen, sagen, was geschehen, was es angestellt hat, dass es dem bösen Wolf die Tür öffnete, der mit zuckersüßer Stimme und weißer Pfote um Einlass gebeten hat. Die Ängste vor Verrat und die Unaussprechlichkeit der Situation können kommen und auf unseren Kindern lasten, ganz ohne dass eine Straftat erforderlich wäre.

Dass die gestreamten – also im Datenstrom gesendeten Beiträge – sich zwischen speichern und abfilmen lassen, dass Informationen auf gezeichnet und Bilder geschossen werden können, die sich viel später anderenorts wiederfinden und genauso unvergesslich sind, wie die restlichen Inhalte des Internets, dass Zusammenhänge neu hergestellt, verfälscht und erlogen, mit Schnipseln eines jungen Lebens unterfüttert und zur missbrauchten Identität werden, das alles wollen wir uns nicht vorstellen und wir wissen im Ernstfall auch nicht, wie wir das alles wieder ins Reine bringen.
Das Schlimmste aber ist, dass wir im Zweifel davon gar nichts erfahren, weder von den multimedialen Aktivitäten unserer Heranwachsenden im durchgängig verfügbaren Breitbandnetz, denn das ist ja deren Privatsache, noch über die Sorgen und Nöte, die ihnen hieraus erwachsen, denn wer über das Erste mit seinen Eltern nicht sprechen will, der kann auch über das zweite mit ihnen nicht reden.

Was also tun: Zumindest nicht die Augen davor verschließen, dass unsere heimischen Datennetze keine Einbahnstraße wie Funk und Fernsehen sind, sondern ein Einfallstor für Fremde, die sich hierfür Dienste wie YouNow bedienen. Vielleicht gibt ein Blick auf die Handyrechnung Auskunft, vielleicht ein Blick auf die Datenverbindungen und die verbrauchten Kapazitäten im Router. Viel wichtiger aber ist, dass wir mit unseren Kindern im Gespräch bleiben. Dass wir sie fragen, was sie im Netz tun. Dass wir ihnen klar machen, dass auch hier dunkle Ecken sind, Straßen und Bereiche, in die sie nicht ohne Begleitung gehen sollten. Dass wir ihnen die Sicherheit geben, dass bei allem, was ihnen im Internet widerfährt, allem was sie sehen, was sie hören, was sie sagen, wir hinter ihnen stehen und sie mit uns nur zu reden brauchen, ja dass wir es wissen wollen. Dass wir dieses Vertrauen in sie haben und daher nicht unangemeldet ihre Accounts stürmen, aber gerne wissen möchten, wo und wie sie kommunizieren. Da wir für sie die ersten und die besten Partner sein möchten und auch sein können. Besser als jeder andere im Netz und vor allem ohne falsche Interessen.

Nur wenn wir mit unseren Kindern reden und sie uns alles erzählen können (aber nicht müssen), machen wir den Raum für multimediale Selbstgespräche so eng wie möglich. Ausschließen lassen sie sich nicht. Das ist klar. Aber das gilt auch für andere Gefahren des Lebens. Und manchmal, wenn wir im Zweifel sind, wenn wir uns nicht mehr zu helfen wissen, dann ist es gut, mutig zu sein und um Hilfe zu fragen. Hierfür stehen öffentliche und private Organisationen zur Verfügung, deren Adressen sie an verschiedenen Stellen im Internet zu finden sind.

Bedenken Sie: Wenn sie von Ihren Kindern erwarten, dass sie sich nicht mit Angst und Sorgen verkriechen, dann sollten auch sie es nicht tun. Dass Kommunikationsangebote wie YouNow so viel Erfolg haben, liegt nicht zuletzt an unserer Sprachlosigkeit.

Trackback from your site.

Bernd Fuhlert

Bernd Fuhlert betreibt den Verbraucherschutz Blog, um Verbrauchern im alltäglichen Umgang mit dem Internet in Fragen rund um Social Media, Datenschutz und Privatsphäre zur Seite zu stehen. Durch seine langjährige Erfahrung und seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Revolvermänner GmbH ist er seit Jahren in den Bereichen Social Media, Datenschutz und Haftungsmanagement für seine Kunden tätig. Bernd Fuhlert freut sich über eine rege Diskussion in den Kommentaren seiner Blogartikel und nimmt auch gern Themenvorschläge entgegen.

Leave a comment