Aufgrund der Digitalisierung ist die gesellschaftliche Entwicklung sowie deren Dynamik so komplex geworden, dass der Einzelne sich weder eine fundierte eigene Meinung dazu bilden noch eine realistische Folgenabschätzung vornehmen kann. Wohlwissend um diesen Sachverhalt postulieren versierte Experten – darunter auch der Verleger vom Handelsblatt Gabor Steingart – trotzdem, dass letztendlich alle Menschen gemeinsam über die Richtung der digitalen Zukunft entscheiden müssen, und wie ein Leben damit konkret aussehen soll. Doch wer übernimmt die Verantwortung für die Bildung der öffentlichen Meinung und wie lässt sich der Diskurs gestalten? Der Datenschutz kann die Basis dafür bilden.
Momentan bombardieren Unternehmen und Wissenschaftler die Menschen mit Zukunftsvisionen darüber, wie einfach und schön sich das Leben zukünftig unter Einsatz von Technologie gestalten lässt. Aber ebenso, wenn auch weniger oft, mit dystopischen Aussichten – etwa, wie massiv in die Privatsphäre eingegriffen werden wird und welche negativen Folgen daraus resultieren können. Eine Konsequenz daraus: Die breite Masse kann sich immer weniger eine Meinung bilden, insbesondere, weil die Diskussion vielfach stark von Interessenvertretern beherrscht und seitens der Hersteller getrieben wird.
Hinzu kommt, dass nicht allen Menschen die gleichen Informationsquellen zugänglich sind: selbst wenn ein weitergehendes Bedürfnis daran besteht, sich bezüglich des technologischen Fortschritts eine Meinung zu bilden, so lässt sich dieses Vorhaben nur schwer realisieren. Denn im Moment besteht ein trügerisches Gefühl von Neutralität, basierend auf dem ursprünglichen Grundverständnis, dass durch das Internet Jedem alle Informationen offenstehen. Doch allein unter dem Phänomen der Filterblase, auch als Echokammer bekannt, ist die Annahme von Objektivität eine Illusion.
Ist die Digitalisierung also ein unfaires Spiel, in dem eine Seite die Regeln diktiert – oder kann die Gesellschaft, respektive der Einzelne noch mitbestimmen, auch wenn die Technologie heute bereits ein wesentlicher Bestandteil des Alltags geworden ist? Um hier eine Antwort zu finden, ist es notwendig sich den grundlegenden Fragen zu stellen.
Erste Frage: Wie wollen wir leben?
In Amsterdam steht „The Edge“. Es gilt als eines der nachhaltigsten Gebäude der Welt, weil alles vernetzt ist und sich daraus jede Menge Potential für eine intelligente Steuerung ergibt. Nicht nur, dass sich hier mehr Energie produzieren lässt als die Mitarbeiter verbrauchen – bis hin zur Bewässerung der Pflanzen ist alles smart. Auch im Alltag der Mitarbeiter: Ihnen wird zum Beispiel täglich der zum Zeitplan passende Arbeitsplatz zugewiesen, automatisch das Parkhaustor geöffnet und der Kaffee so zubereitet, wie sie ihn am liebsten trinken. Alles was ein Angestellter tut wird registriert – von der Temperatureinstellung im Büro bis hin zum Gang auf die Toilette. So weiß „The Edge“ letztendlich, dank Big Data, genau über Jeden Bescheid, wenn er im Büro ist.
Aber Überwachung kann auch zentral, durch Institutionen gesteuert, stattfinden. Gutes Beispiel dafür sind Krankenkassen und Versicherungen, die ein Stück weit die Vorstellungen bereits umgesetzt haben, dass Versicherte mittels Fitnesstracker zu einem gesünderen Leben erzogen werden können. Doch die Ideen zur Optimierung des Lebens sind vielfältig und scheinbar grenzenlos. So entwickeln beispielsweise Forscher der Florida State University momentan eine Anwendung, die zuverlässig herausfinden soll, ob ein Mensch suizidgefährdet ist. Wie könnte diese zukünftig gut zum Einsatz gebracht werden? Zum Beispiel indem diese Applikation jedem Arzt obligatorisch zur Verfügung gestellt wird, damit er – sobald der leiseste Verdacht besteht, sein Patient könnte hier anfällig sein – diese App „verschreibt“, um sich nicht der unterlassenen Hilfeleistung strafbar zu machen? Würde eine Meldung darüber dann unmittelbar mittels Fitnesstracker – bestenfalls nur – an die Krankenkasse oder eine entsprechende Hilfseinrichtung weitergeleitet? Oder vielleicht doch auch an ganz andere Institutionen und was könnte das dann für weitere Konsequenzen mit sich bringen?
Zweite Frage: Sind wir heute noch besser manipulierbar?
Dass der Mensch manipulierbar ist, hat keinen großen Neuigkeitswert. So postulierte auch Werner Kroeber-Riehl bereits 1992, dass „wir [..] sowieso alle emotional konditionierbare Konsumäffchen [sind]“. Trotzdem gilt es dieses Phänomen unter den Möglichkeiten in einer digitalisierten Welt neu zu betrachten. Denn was mittlerweile offensichtlich wird ist, dass das hohe Maß an Konformitätsverhalten durch Medien wie Facebook noch verstärkt wird – je mehr Likes eine Meinung, ein Kommentar oder Bild bekommt, desto schwieriger ist es, eine Ansicht gegen die beliebte Aussagen zu stellen.
Dies könnte sich auch auf die Technologie-Debatte auswirken und zur einseitigen Meinungsbildung durch bestimmte Unternehmen herangezogen werden, ohne dass ihnen durch irgendeine Instanz Einhalt geboten werden kann. Denn Konzerne wie Facebook entziehen sich laut dem österreichischen Bundeskanzler Christian Kern „der Kontrolle der Politik“. In seinem Grußwort zum European Newspaper Congress 2017, größten Journalismus-Kongress Europas, führte er weiter aus, dass dies „[..] die Freiheit [instrumentalisiert], [..] das Verhalten der Bürger [steuert] und [..] den Journalismus [de-legitimiert]. Die neue Newsroom-Logik folgt den sozialen Netzen; der kritische Journalismus, das „Immunsystem der Gesellschaft“, wird abgelöst durch die Quoten-Logik der Algorithmen, des verborgenen Gotts des Universums“.(1)
Dritte Frage: Wer ist vertrauenswürdig?
Im Prinzip gibt es zwei Instanzen, die überwiegend Verantwortung für die Gestaltung der Zukunft tragen: der Staat und die (Technologie-)Unternehmen. Implizit damit einhergehen muss ein Vertrauen darauf, dass die Umsetzung mit den Vorstellungen und Bedürfnissen der Bevölkerung übereinstimmt. Ist dieser Optimismus und Vertrauensvorschuss berechtigt oder sind hier doch eher Zweifel angebracht? Allgemeine Bedenken äußert unter anderem die Arbeitssoziologin Sabine Pfeiffer, Professorin an der Universität Hohenheim – sie geht davon aus, dass allein „das Bündel an Technologie die meisten Entscheider überfordert“.
Des Weiteren stellt sich die Frage, inwieweit ethische Überlegungen unter wirtschaftlichen Aspekten opportun sind. Ein Beispiel: Während der gleichen Konferenz, auf der Satya Nadella, Konzernchef von Microsoft „vor Zukunftsvisionen à la George Orwell“ warnt, werden viele Lösungen mit künstlicher Intelligenz präsentiert, die an „1984“ erinnern. So kann die KI von Microsoft beispielweise auch Bilder erkennen und deuten, wenn sie entsprechend trainiert wird. Einsatzszenarien hierfür gibt es allein in Unternehmen theoretisch genug – etwa in der Produktion. Da das System sowohl einzelne Personen identifizieren als auch Werkzeuge erkennen kann, ist es hier mittels Kameras möglich, die Mitarbeiter dahingehend komplett zu überwachen, ob sie die Arbeit richtig ausführen.
Auch den Staat stellen die Möglichkeiten der Technologie vor eine paradoxe Situation: einerseits ist die Aufgabe der Regierung die Freiheit der Bürger sicherzustellen – andererseits wird dafür zunehmend auf Maßnahmen zurückgegriffen, die die Freiheit beschneiden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die standardmäßige Aktivierung der Onlinefunktion in den Ausweisen wurde beschlossen, obwohl sich – wie auch auf www.spiegel.de (2) nachzulesen ist – zwei von drei Bürgern mit neuem Personalausweis explizit gegen die Freischaltung der Funktion entscheiden. Hinzu kommt, dass seit Mai 2017 deutsche Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern „zur Erfüllung ihrer Aufgaben“ künftig das biometrische Lichtbild im Ausweis automatisiert aus den Registern der Pass- und Personalausweisbehörden abrufen dürfen.
Wie wird das Leben in Zukunft aussehen, wenn Politiker vermehrt zu begeisterten Anhängern der Totalüberwachung mutieren? Einen Vorgeschmack darauf gibt die amtierende Premierministerin Großbritanniens, Theresa May, die sich zur Totalüberwachung bekennt. So sagt sie offen, das sie erfreut wäre „wenn der Human Rights Act (das britische Gesetz zur Europäischen Menschenrechtskonvention) abgeschafft würde, denn ich glaube, wir hatten einige Probleme damit“.
Antwort: Ein Plädoyer für den Datenschutz und die Freiheit
Der Aspekt des Komfort – wie beispielsweise in „The Edge“ geboten – mag für die einen ein Traum sein, für andere ist die ständige Überwachung jedoch ein Alptraum. Wer hat Recht und wie kommt der Einzelne zu seinem Recht? Noch müssen viele Einsatzmöglichkeiten der Technologie nicht diskutiert werden, da existierende Datenschutzgesetze deren ausschweifender Nutzung per se einen Riegel vorschieben. Als Basis für die Einigung auf ein Grundverständnis werden Regeln und Gesetze somit auch weiterhin wichtig bleiben. Allein unter dem Aspekt, dass die Möglichkeit des Guten unmöglich vom Risiko des Übels zu trennen ist und jeder Technologie auch das Potential für eine missbräuchliche Verwendung innewohnt. Die Technik entwickelt sich einfach zu schnell, als dass der Mensch das Ausmaß der Anwendungen vollends begreifen kann.
Es geht beim Datenschutz nicht darum, die Daten um ihrer selbst willen zu schützen. Es geht vielmehr um den Schutz der Personen, denen die Daten zugeordnet werden. Dieses Verfahren sowie deren Implikationen sind jedem theoretisch wohl bekannt: wenn Jemand einen Arzt besucht, soll auch sichergestellt sein, dass die Daten nicht in falsche Hände geraten. Nur faktisch besteht dieser Anspruch im Zusammenhang mit den Profilen, die durch das Surfen im Web entstehen, eben nicht. Das hängt keinesfalls nur mit der – für Viele unklaren – Definition des Begriffs „Datenschutz“ zusammen, sondern auch mit den absichtlich kaum vorhandenen Möglichkeiten, sich zur Wehr setzen zu können und damit wird dem Fatalismus das Spielfeld überlassen! Hier muss der Staat eingreifen und die Spielregeln festlegen, damit nicht wirtschaftliche Interessen die Grundrechte der Bürger aushöhlen.
Aber die Bürger können sich nicht nur auf den Staat verlassen – denn manchmal möchten die Regierenden auch von der verbotenen Frucht naschen. So soll in China der „citizen score“ eingeführt werden. Für alle Bürger des Landes wird es dann eine Art Schufa über das gesamte Lebens geben. Jede noch so kleine, aber digital nachvollziehbare Handlung hat demgemäß Auswirkungen auf die Bewertung (Score) einer Person. Basierend darauf soll dann sowohl das Gefahrenpotenzial jedes einzelnen Bürgers abschätzbar sein, als auch die Vorgaben dafür entstehen, was ihm erlaubt ist und zusteht – zum Beispiel, ein Studienplatz – sowie aber auch, was ihm verboten wird. An diesem Bespiel wird spätestens klar, dass zum einen Jeder für die Gestaltung der Gesellschaft in der Verantwortung steht – es aber andererseits ohne Datenschutz keine freie denkende und in Demokratie lebende Gesellschaft geben kann.
(1) https://kress.de/mail/news/detail/beitrag/137784-enc-rueckschau-enteignet-facebook-haetten-die-achtundsechziger-gefordert.html
(2) http://www.spiegel.de/netzwelt/web/personalausweis-eid-funktion-soll-standard-werden-a-1125707.html
Autoren: Bernd Fuhlert & Ulla Coester (https://twitter.com/ucoester?lang=de)